Vielleicht kennst du das - du spürst manchmal in dir die Lust, dich kreativ auszudrücken oder fühlst dich inspiriert, weil du andere beim Malen, Zeichnen, Töpfern usw. zugeschaut hast? Vielleicht hast du ein Kind beobachtet und es insgeheim bewundert, wie frei und leidenschaftlich es malt, kritzelt oder bastelt? Du hast den Impuls, selbst zu Stift, Pinsel oder Kreide zu greifen, doch schon im nächsten Moment vergeht dieser Impuls, weil sich der ästhetische Anspruch in dir meldet, „es muss ein schönes Bild werden“ oder eine Stimme, die sagt, „dass kannst du nicht! Und wenn du es nicht „kannst“ ist es Zeitverschwendung“. Und schon ist die ganze Motivation dahin...
Oder hast du das Streben nach Perfektion schon so stark verinnerlicht, dass du gar nicht erst in Versuchung gerätst kreativ zu gestalten? Damit bist du leider nicht allein.
Die meisten von uns haben gelernt, Dinge zu tun, für die wir Anerkennung bekommen. Wir wollen “sinnvolle” oder wenigstens “schöne” Dinge machen und haben gleichzeitig Angst, dabei zu versagen. Ein innerer Wunsch und Antrieb, sich selbst kreativ auszudrücken, ist also manchmal da, wird aber oft im Keim erstickt, durch die „Argumente“, die unser Verstand vorbringt.
Einen Weg aus diesem inneren Widerspruch bietet die Kunsttherapie, aber auch die Idee des Intuitiven Malens (und Gestaltens). Vielleicht hast du vom Intuitiven Malen schon mal gehört? Es deckt sich in vielerlei Hinsicht mit meinem kunsttherapeutischen Verständnis und kann Menschen dazu beflügeln, kreativ zu werden, weshalb ich es in diesem Artikel gerne vorstellen möchte.
Das Intuitive Malen und Gestalten
Was bedeutet eigentlich Intuition? Im Allgemeinen verstehen wir darunter eine Art innere Eingebung, ein „Bauchgefühl“, ein Phänomen, das ohne unser rationales Denken zustande kommt. „Die innere Stimme“, „der richtige Riecher“, „der sechste Sinn“ – wir kennen viele Umschreibungen für die Intuition. Es ist gar nicht so genau definiert, was „Intuition“ eigentlich ist. Sie scheint für die meisten ein nicht fassbares Mysterium zu sein.
Intuition beruht, so geht man heute davon aus, auf der Summe all unserer Erfahrungen, unseres angehäuften Wissens, aber vor allem jenem, welches sich aus der unbewussten Informations- und Sinnesverarbeitung speist.
Unser Gehirn hat eine relativ geringe „bewusste“ Verarbeitungskapazität. Es muss filtern, um unser Bewusstsein nicht durch Reizüberflutung zu überfordern. Es ist beispielsweise in einem Gespräch mit einem Geschäftspartner vermeintlich unwichtig, welche mimischen oder gestischen Reaktionen (non-verbale Kommunikation) dieser sendet. Wir fokussieren uns auf den Inhalt des Gesprächs, um diesem folgen zu können. Mimik und Gestik bewusst wahrzunehmen, würde das Gespräch stören. Dennoch, selbstverständlich sind gerade diese Aspekte besonders wichtig. Wir senden schließlich permanent Unmengen non-verbaler Sprache aus. So verarbeitet und speichert unser Gehirn diese auf unbewusste Weise und häuft diese Sinneseindrücke ebenfalls zu einem großen Wissensschatz an.
Während das logische, systematische Denken seine Grenzen hat, kann das intuitive, unbewusste Wahrnehmen mehr Informationen verarbeiten und im Unterbewusstsein speichern. Intuition – lateinisch „intutio“: genau anschauen, erkennen – bedeutet daher, unbewusst bekannte Muster wiederzuerkennen. Prof. Gerd Gigerenzer, Psychologe, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, befasst sich seit Jahrzenten mit der Erforschung der Intuition. In seinem Buch „Bauchentscheidungen“ bezeichnet er die Intuition als „die unbewusste Intelligenz“.
Sie ist ein wertvoller Schatz, dessen Stimme wir leider oft überhören, weil wir es nicht mehr gewohnt sind und es um uns herum so hektisch, schnell und laut ist. Wir müssen selbst still werden um diese zarte Stimme wahrnehmen zu können.
Beim intuitiven Malen und Gestalten geht es genau darum – leise werden, dieser inneren Stimme Raum zu geben und alle Impulse möglichst ungefiltert auszudrücken - Intuitives Malen und Gestalten bedeutet, sich seinen Impulsen völlig hinzugeben und zu vertrauen. Loszulassen statt zu kontrollieren.
Beim Malen und Gestalten aus der Intuition heraus geht es also darum alles, was den freien Fluss der Kreativität behindert, aus dem Weg zu räumen; Anspruch, Ziel-/Ergebnisorientierung, Zeitdruck, Ablenkung. Ohne Vorlage, ohne vorgegebenes Thema, ohne in Erwartung einer folgenden Bewertung zu sein und vor allem auch ohne sich selbst zu bewerten – was oft am schwierigsten ist.
Ich kann nicht malen...
Der Klassiker, den ich von Menschen höre, ist “Ich kann nicht malen”. Ich antworte darauf gerne, dass jeder Mensch gestalten kann, der in der Lage ist einen Pinsel, Stift oder Kreide in der Hand zu halten. Sobald wir Spuren auf Papier hinterlassen, einen Tonklumpen formen oder Bauklötze stapeln können, können wir gestalten. Was aber eigentlich hinter dem Satz steckt ist, die Überzeugung, dass wir nicht so malen oder zeichnen können, wie unser Verstand es für „richtig“ hält und wir es gerne hätten. Viele werden wahrscheinlich nicht die handwerklichen Fertigkeiten oder Erfolg eines Pablo Picassos erlangen. Aber mal ehrlich, wen kümmert es, wenn wir es nur für uns tun?
Prozess statt Kontrolle
Sich einfach mal auf einen echten, rohen und authentischen Prozess einlassen - klingt das nicht spannend, erholsam, heilsam?
Wir müssen in so vielen Lebensbereichen Ansprüchen gerecht werden, Anforderungen erfüllen und Dinge zur Zufriedenheit anderer erledigen. Wie wäre es also, den Gestaltungsprozess als Gelegenheit zu nutzen, allen Perfektionsansprüchen zu entsagen? Einfach fei auszudrücken, was gerade da ist? Und….
Loslassen...
Was braucht es dazu? Du musst den Mut aufbringen, Kontrolle aufzugeben. Spontaner, intuitiver Ausdruck lässt sich nicht mit Kontrolle vereinbaren. Erst wenn du damit aufhörst, deinen kreativen Prozess zu kontrollieren und zu beeinflussen, kannst du in einen völligen Flow kommen.
Das ist zu Beginn für die meisten ungewohnt und vielleicht sogar schwierig, aber es lässt sich üben. Je öfter wir dies tun, desto mehr können wir genießen, welche kreative Kraft in uns steckt und wie lebendig wir uns dadurch fühlen können, sie ungehindert durch uns hindurchströmen zu lassen.
Die Suche nach Bedeutung
Was uns außerdem oft daran hindert, uns spontan und frei auszudrücken, ist unsere Suche nach einer Bedeutung. Ich meine damit unseren Wunsch, in unseren eigenen Bildern etwas zu erkennen, sie zu interpretieren und Erkenntnisse daraus zu gewinnen.
Als Künstlerin und Kunsttherapeutin kenne ich dieses Bedürfnis sowohl von meinen KlientInnen als, auch von mir selbst. In der Kunsttherapie geht es ja tatsächlich darum, kreative Prozesse zu durchleben und anschließend zu reflektieren. Es ist also schon sehr verlockend, zu gestalten im Hinblick darauf, was das Bild dann wohl zu bedeuten hat. Schon wenn wir den vorangegangenen Satz lesen, merken wir; wir werden das entstehende Bild, wenn wir ihm schon während des Malens eine Bedeutung aufzwingen, in irgendeiner Form (womöglich, vielleicht sogar unbewusst) manipulieren.
Es ist also wichtig, sich völlig und aus dem Bauch heraus auf den Gestaltungsprozess einzulassen, ohne sich durch Gedanken selbst zu zensieren, zu kontrollieren und zu beschränken. Erst der völlig freie Ausdruck gewehrt uns Einblicke in die Tiefe unserer Seele.
Bilder wirken
In der Kunsttherapie schafft das anschließende Gespräch, neue Einsichten und Erkenntnisse. Perspektiven können verändert werden und neue, gesündere Selbst- und Lebenskonzepte können entwickelt werden.
Aber: Bilder sprechen ihre eigene Sprache. Sie lassen sich nicht einfach in Worte übersetzen und wie einen Text lesen. Wir müssen genau hinschauen, genau hinhören. Dann können wir verloren geglaubte Anteile von uns auffinden und integrieren, um uns irgendwann wieder “ganz” zu fühlen.
Wir dürfen darauf vertrauen, dass ein unbeeinflusster gestalterischer (erschaffender) Prozess heilsam für uns ist. Er ist eine Art Meditation, wenn wir es schaffen uns völlig einzulassen und in ihm versinken. Das Unbewusste zuzulassen und dadurch zu akzeptieren ermöglicht seine Integration.
Stärke deine Intuition
Wenn du möchtest, kannst du versuchen, das Gelesene gleich umsetzen. Nimm dir dafür eine halbe Stunde Zeit, an einem Ort, an dem du ungestört sein kannst - Zeit nur für dich. Du brauchst ein Blatt Papier in der Größe A4 oder A3 und Stifte oder Kreiden.
Wenn du alles vorbereitet hast, nimm ein paar tiefe Atemzüge und gehe mit der Intention in den Prozess, dich selbst während des Gestaltens nicht zu kontrollieren, sondern spontan zu sein.
Nimm dir vor, deine Gestaltung niemandem zu zeigen. Sie ist nur für dich, sie wird von niemandem bewertet, nicht einmal von dir selbst. Sie soll nicht schön sein, sondern echt. Das fertige Bild wird nicht mehr und nicht weniger sein als der Schluss deines kreativen Prozesses. Gib deiner Intuition die Erlaubnis, den Prozess zu gestalten und gönne deinem Verstand eine Pause.
Wähle die Farben ganz intuitiv, gehe jedem Impuls nach. Die einzigen Grenzen, sind die Ränder deines Blattes.
Genieße es, frei, authentisch und du selbst zu sein. Gib deiner Intuition Raum und erlebe was passiert! Viel Spaß beim Ausprobieren :)