Der Begriff Kontakt ist in den vergangenen drei Jahren häufig in einem unerfreulichen Zusammenhang verwendet worden. Immer wieder mussten wir uns Kontaktbeschränkungen unterziehen. Wir haben bemerkt, wie sehr uns der zwischenmenschliche Kontakt fehlt, wenn er plötzlich weitgehend reduziert werden soll. Wir haben erfahren, dass virtueller Kontakt den persönlichen Kontakt nicht ersetzen kann. Wir haben Umarmungen vermisst, das Händeschütteln und das gemeinsame Zusammensein im selben Raum..
Kontakt mit anderen vs. Kontakt mit sich selbst
Zumeist wird unter Kontakt, die Berührung oder Verbindung mit etwas außerhalb seiner selbst verstanden, also beispielsweise zu anderen Menschen, Tieren, seiner Umwelt. Es gibt aber noch eine weitere ganz wesentliche Dimension, nämlich die des Kontaktes mit sich selbst.
Häufig suchen Menschen therapeutische Unterstützung, weil sie Schwierigkeiten im Kontakt mit ihrem Umfeld, also dem Außen haben. Nicht selten geht es aber auch darum, den Kontakt zu sich selbst verloren zu haben. Und wie immer ist beides untrennbar voneinander, denn um gut mit anderen im Kontakt sein zu können, müssen wir auch uns selbst gut spüren und wahrnehmen.
Es ist notwendig zu wissen, was uns guttut, was wir brauchen und was wir uns wünschen. Ganz basal gesehen: schlafen, wenn wir müde sind. Essen, wenn wir hungrig sind. Uns bewegen, wenn der Körper es braucht und ruhen, wenn uns die Energie fehlt. Auf einer höheren Ebene gesehen: Klarheit darüber, was unsere Werte sind, unsere Ziele, was und wen wir in unserem Leben brauchen und möchten,
Um Krisen oder Herausforderungen zu bewältigen und das Leben den eigenen Bedürfnissen und Wünschen entsprechend zu gestalten, müssen wir uns also selbst gut spüren. Wir benötigen eine Verbindung zu unserem inneren Kompass. Das klingt in der Theorie einfach, ist in der Praxis aber tatsächlich oft schwer.
Wenn der Kontakt gerade zu sich selbst schwerfällt
Woher kommt es eigentlich, dass viele von uns sich so schlecht spüren können? Wie schwierig es denn schon sein kann, zu benennen, wie sich etwas anfühlt und wo im Körper etwas spürbar ist? Tatsächlich sind die meisten von uns viel mehr im Kopf und wenig im Spüren. Sogar das Wahrnehmen der eigenen Gefühle kann für viele bereits sehr herausfordernd sein.
Viele Menschen haben gelernt, sich darauf auszurichten, was andere in ihrem Umfeld fühlen und brauchen. Somit beginnt diese Ausrichtung meist schon in der frühen Kindheit. Kinder sind zunächst einmal existenziell darauf angewiesen, gute Beziehungen zu ihren Bezugspersonen zu haben und stellen diese, wenn nötig, durch Überanpassung her. Das bedeutet, wenn es Eltern langfristig nicht gelingt, Bedürfnisse ihres Kindes zu erfüllen, wird das Kind diese mit der Zeit weniger gut spüren, da es für das Kind – so speichert und formt das Gehirn die entsprechenden Strukturen – nicht sinnvoll ist, da unerfüllte Bedürfnisse Leid verursachen. Die eigenen Bedürfnisse und Gefühle werden sozusagen herunterfahren, um sich den Eltern besser anpassen zu können, damit die Bindung nicht gefährdet wird. Somit verlernt das Kind, sich selbst differenziert wahrzunehmen und beginnt stattdessen, im Kontakt mit anderen Menschen zu “funktionieren”.
Mit zunehmendem Alter findet also ein Anpassen an die Bedürfnisse anderer statt, zunächst in der eigenen Familie, dann in größeren Gruppen - Schule, Freundeskreis und schließlich in der Gesellschaft. Die Evolution hätte uns diese Anpassungsfähigkeit nicht zur Verfügung gestellt, wenn es nicht auch eine notwendige Fähigkeit wäre um in einem sozialen Gefüge, in unserer Umwelt zu (über)leben.
Ein Problem stellt sie dar, wenn diese Anpassung zu früh und in einem Übermaß erfolgt, wodurch dann langfristig die Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit und das gute Sorgen für sich selbst stark verkümmern.
Das Paradoxe dabei ist, dass es besonders in Beziehungen so wichtig ist, sich selbst gut wahrzunehmen und in gutem Kontakt mit sich zu sein. Denn eigene unerfüllte, unbewusste Bedürfnisse wirken sich problematisch auf zwischenmenschliche Verbindungen aus. Die unreflektierte Anpassung an andere hat einen hohen Preis und kann sich beispielsweise in passiver Aggression oder eben im äußersten Fall in aktiver Aggression äußern.
Es ist also absolut kein egoistischer Zug, gut für sich und seine Bedürfnisse zu sorgen, sondern kommt auch dem eigenen Umfeld zugute. Geht es mir gut, geht es auch anderen mit mir gut. In Sinne von - Eigenverantwortung übernehmen, statt zu hoffen, dass andere meine Bedürfnisse erraten. Selbstverständlich geht es hierbei nicht um das Umsetzen der eigenen Bedürfnisse um jeden Preis und zum Nachteil anderer. Hier muss im sozialen Gefüge nach Kompromissen gesucht werden.
Und wie kommt man nun mit sich selbst (wieder) in einen guten Kontakt? In gutem Kontakt mit sich selbst zu sein ist ein ganzheitliches Erlebnis. Es umfasst unsere Psyche, unsere Sinne und unseren Verstand.
Gut in Kontakt mit sich selbst ist man, wenn man auch seinen Körper wahrnimmt und gleichermaßen seine Emotionen und nicht nur seine Gedanken. Der Schlüssel dazu ist Achtsamkeit - Wahrnehmen, ohne zu bewerten und seine Beobachtung einfach annehmen und mit allen Sinnen und ganzer Aufmerksamkeit ganz bei dem sein, was in diesem Moment ist.
Meist tun wir genau das Gegenteil: ständiges Gedankenkarussell, permanentes Bewerten. Denken ist auch nicht per se schlecht. Es hilft uns ja schließlich auch dabei, durch die Welt zu navigieren. Dennoch, wenn wir unsere Gedanken einmal beobachten und hinterfragen, werden wir oft feststellen, dass viele von Zukunftsszenarien handeln – meist noch Negative – oder wir wandern in die Vergangenheit. Wirklich präsent im gegenwärtigen Augenblick sind wir tatsächlich nur selten.
Stattdessen immer wieder auch reflektieren, welche Gedanken mir eigentlich gerade durch den Kopf gehen, ob das alles auch wahr ist und es immer wieder mit meinen körperlichen Empfindungen und Wahrnehmungen abgleichen.
Durch achtsames Wahrnehmen den Kontakt zu sich selbst wieder finden - Inneres Erleben ausdrücken und wahrnehmen
Wie ist es, Kreide auf Papier zu verreiben oder was erlebe ich, wenn ich mit einem breiten weichen Pinsel Farbe satt oder wässrig auf ein Papier streiche? Wie empfinde ich es, Ton in den Händen zu kneten? Wie verhält sich das Material und wie reagiere ich darauf?
Kunsttherapie ermöglicht achtsam wahrzunehmen, was jetzt ist. Wenn es in therapeutischer Begleitung gelingt, sich den eigenen Impulsen hinzugeben, werden während des Gestaltens Emotionen und innere Zustände, in Formen und Farben ausgedrückt und werden über unsere Sinne wahrnehmbar. Die momentane innere Dynamik wird zu einem materiellen Gegenüber. Das entstehende Bild spiegelt unmittelbar die innerpsychischen Prozesse.
Die Reflexion dieses Prozesses und dessen, was dabei zum materiellen Gegenüber wurde, macht es möglich, in einen Dialog zu treten - hinzuschauen: Wie waren und sind jetzt die körperlichen Empfindungen? Warm, kalt, weit, kribbelnd, angespannt, entspannt usw.? Wo im Körper ist eine Empfindung verortet? Welche Gefühle sind aufgetaucht? Und schließlich auch: welche Gedanken kommen? Bewerte ich? Welche Assoziationen und Erinnerungen treten in Erscheinung?
Ich beobachte in meinen kunsttherapeutischen Sitzungen, dass diese Fragen für viele Menschen sehr ungewohnt sind und zunächst sehr schwer beantwortbar. Dennoch ist es sinnvoll sie zu stellen, denn sie beantworten zu lernen macht auch das Leben spürbarer. Im Verlauf dienen sie auch dazu aufzuspüren, was tiefer verborgen ist und es auf eine bewusstere Ebene zu heben. Je mehr wir auch unser Unterbewusstes kennen umso mehr kennen wir uns.
Übung für zu Hause:
Abseits des therapeutischen Kontextes ist es lohnenswert, mehr Achtsamkeit für das eigene Erleben in den Alltag zu integrieren. Eine sehr schöne Methode, die wenig Zeit erfordert und dabei hilft, dranzubleiben, ist das gestalterische Tagebuch.
Du brauchst dazu nichts weiter als ein kleines Büchlein oder Heft und Buntstifte.
Die Grundidee ist, dass du dir jeden Tag ein paar Minuten Zeit nimmst und spontan eine Mini-Skizze deiner Befindlichkeit gestaltest. Überlass es dabei vertrauensvoll deiner Hand, spontan und intuitiv deinem inneren Erleben Ausdruck zu geben.
Wie bin ich heute in „Form“? Mit welcher Farbe kann ich das ausdrücken? Mit sanft geschwungenen Linien, stark verschnörkelt oder vielleicht in kräftigen, zackigen Strichen? Dabei bedenke immer, es gibt kein Richtig oder Falsch :) Viel Spass beim Ausprobieren!